Veranstaltung: | 51. Landesversammlung und Wahlversammlung zur Aufstellung der Landesliste für den 7. Sächsischen Landtag |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 4 Verschiedenes |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesversammlung |
Beschlossen am: | 12.04.2019 |
Eingereicht: | 18.04.2019, 11:07 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Für starke, demokratische und selbstbestimmte Kommunen – Sächsische Gemeinde- und Landkreisordnung reformieren
Beschlusstext
Am 26. Mai wählen die Menschen in Sachsen ihre kommunalen Vertretungen neu und
bestimmen, wer zukünftig im Gemeinderat, Stadtrat, Kreistag, Ortschaftsrat oder
Stadtbezirksbeirat sitzt.
Wir erleben als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gerade, dass sich viele Menschen vor Ort
politisch einbringen wollen. Dies geht nicht nur uns so. Viele Bürgerinnen und
Bürger kandidieren für ihre kommunalen Vertretungen, um sich für die
unmittelbare Gestaltung ihres Lebensumfeldes zu engagieren. Die tausenden
ehrenamtlichen kommunalen Rätinnen und Räte sind das Rückgrat unserer
Demokratie.
Doch mit Blick auf die Rechte der Kommunen, die demokratischen Prozesse mit
Leben zu erfüllen, muss konstatiert werden, dass der Freistaat die Kommunen
gängelt, statt ihnen endlich das demokratische Handwerkszeug zu geben, dass
notwendig ist, um unsere Kommunen zu stärken. Dies spüren die neu gewählten
Rätinnen und Räte spätestens dann, wenn ihnen Minderheitenrechte – wie die
Fraktionsbildung – erschwert werden oder sie feststellen müssen, wie hoch die
Hürden für Bürgerbeteiligung sind.
Wir GRÜNE bekennen uns nicht nur zur Bedeutung der kommunalen Demokratie, wir
wollen sie allumfassend stärken. Das unterscheidet uns von CDU und SPD, die in
den letzten fünf Jahren regelmäßig zum Schlag gegen die kommunale
Selbstverwaltung ausgeholt haben, sei es durch die Beschneidung der Rechte der
Stadt- und Gemeinderäte oder durch die Verhinderung der Einführung der
Ortschaftsverfassung in den kreisfreien Städten.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen die Sächsische Gemeindeordnung und die
Landkreisordnung, die den rechtlichen Rahmen für kommunales Engagement geben,
umfassend ändern. Unser Ziel ist: Weniger Gewicht für die starken, von
Bürgermeisterinnen bzw. Bürgermeistern oder Landrätinnen und Landräten
geleiteten Verwaltungen, und größere Betonung von selbstbewussten kommunalen
Vertretungen, die als demokratisch legitimiertes Hauptorgan ein wirkmächtiges
Gegenbild dazu bilden. Deshalb wollen wir die Rechte der kommunalen Vertretungen
und ihrer Mitglieder deutlich ausbauen.
Darüber hinaus wollen wir die Rechte der Bürgerinnen und Bürger bei der
Gestaltung ihres Zusammenlebens stärken. Elemente der direkten Demokratie sind
mit Einwohnerantrag, Bürgerantrag und -entscheid vorhanden, werden aber auch
aufgrund der hohen Quoren so gut wir gar nicht genutzt. In ihrer derzeitigen
Ausgestaltung schränkt die Gemeinde- und die Landkreisordnung die Beteiligung
von Bürgerinnen und Bürgern ein bzw. überlässt die konkrete Ausgestaltung den
Kommunen. Mindeststandards für Beteiligung und Transparenz bestehen leider
nicht.
Starke Kommunen gibt es nur, wenn Bürgerinnen und Bürger mitgestalten können.
Wir wollen einen Aufbruch in eine neue Bürgergesellschaft in Sachsen und deshalb
den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, sich einfacher und besser in
die Entscheidungsprozesse einbringen zu können.
Entscheidungs- und Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger konsequent
stärken
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen das Engagement der Menschen, die sich in Sachsen
für das Gemeinwohl und für ihre Mitmenschen einsetzen, stärken. Bürgerinnen und
Bürger, die Verantwortung für unsere Gesellschaft übernehmen, sollen die
Erfahrungen machen, dass sich dieser Einsatz lohnt, ihr Tun konkrete Folgen hat
und sie so auch Veränderungen anstoßen können.
Dazu gehört die Möglichkeit, Sachentscheidungen unmittelbar selbst zu treffen.
Dafür müssen bestehende inhaltliche und formale Hürden von Bürgerentscheiden
abgebaut werden – durch eine einheitliche Absenkung der Quoren für
Bürgerbegehren von 10 auf 5 Prozent und des Zustimmungsquorums bei
Bürgerentscheiden von 25 auf 10 Prozent. Wir wollen, dass eine umfassende
Information über die Inhalte von Bürgerentscheiden vor deren Durchführung zur
Pflicht für die Verwaltung wird, damit die Bürgerinnen und Bürger eine
informierte Entscheidung treffen können. Wir wollen zudem regeln, dass
Bürgerbegehren und -entscheide auch in den Ortschaften durchgeführt werden
können, ohne dass dies explizit durch die Hauptsatzung geregelt werden muss.
Zudem braucht es die Möglichkeit zur Durchführung von Bürgerbegehren in
Stadtbezirken.
Über die Entscheidungsrechte hinaus, ist es als GRÜNE unser Anliegen,
Bürgerbeteiligung nicht als Gnadenakt der Verwaltung oder als ein Prozess „von
Oben“ zu begreifen, sondern als Instrumentenkasten, der es den Bürgerinnen und
Bürgern ermöglicht, zu gestalten. Daher wollen wir es zur gesetzlichen Pflicht
machen, dass die Gemeinden und Kreise Bürgerbeteiligungssatzungen erlassen, in
welchen den Bürgerinnen und Bürgern das Recht eingeräumt wird, mit einer
bestimmten Zahl an Unterschriften, sowohl Informationsanliegen gegenüber der
Verwaltung durchzusetzen, als auch einklagbare Beteiligungsrechte bei konkreten
Vorhaben geltend zu machen.
Um die Macht der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie der Landrätinnen und
Landräte zu beschränken, wollen wir ihre Amtszeit auf die Dauer der Amtsperiode
der Gemeinderäte und Kreistage reduzieren und gleichzeitig – die bisher kaum
erfüllbaren – Voraussetzung für ihre Abwahl durch eine Absenkung des Quorums für
das Abwahlverfahren von 33 auf 20 und des Erfolgsquorums von 50 auf 25 Prozent
erleichtern. Ein Amt als Bürgermeisterin oder Bürgermeister halten wir für
unvereinbar mit einem Kreistagsmandat.
Kommunale Selbstverwaltung darf kein leeres Bekenntnis sein
Mit der letzten Gemeindeordnungsnovelle hat die schwarz-rote Koalition zum
Schlag gegen die kommunale Selbstverwaltung ausgeholt, indem sie das Recht,
Ortschaftsverfassungen für Ortsteile einzuführen, stark beschränkt hat. Dies
trifft nicht nur die Kreisfreien Städte, denen die Einführung der
Ortschaftsverfassung zur Stärkung der kommunalen Demokratie im Stadtgebiet nun
nicht mehr möglich ist, sondern auch viele kreisangehörige Gemeinden, die nicht
mehr ohne weiteres neue Ortschaftsverfassungen einführen können. Mit dieser
Entscheidung wurde der in der Kreisfreien Stadt Dresden bereits begonnene
Prozess, das Ortschaftsrecht für die gesamte Stadt und die bisherigen
Stadtbezirke einzuführen und auf diesem Wege erweiterte
Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, unmöglich
gemacht. Daran ändert auch die seit dem existierende Möglichkeit, die
Stadtbezirksbeiräte zu wählen, nichts. Die Direktwahl der
Stadtbezirksvertreter*innen stellt dennoch einen wichtigen Beitrag zur
Demokratisierung der Kommunalpolitik dar, auch weil sie Stadtteilakteuren die
Möglichkeit einer von den Bürger*innen legitimierten Interessensvertretung
ermöglicht.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen die nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung von
Einwohnerinnen und Einwohnern in Ortschaften und anderen Stadtteilen beenden und
den verfassungswidrigen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung wieder
rückabwickeln. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen darüber hinaus für eine offene,
viele Arten von Beteiligung ermöglichende Regelung des Ortschafts- und
Stadtbezirksverfassungsrechts. Wir wollen es der Entscheidung der Kommunen
überlassen, welches Modell sie vor Ort für richtig halten und wollen es deshalb
auch ermöglichen, dass Städte mit mehr als 20.000 Einwohnerinnen und Einwohnern
und nicht nur die Kreisfreien Städte die Stadtbezirksverfassung einführen
dürfen.
Mehr Macht für die gewählten Vertreterinnen und Vertreter
Wir wollen der Position der Stadt- und Gemeinderäte gegenüber den
Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und der Kreistage gegenüber den
Landrätinnen und Landräten mehr Gewicht verleihen.
Dazu muss der Automatismus beendet werden, dass die oder der Bürgermeister/in
und die Landrätin oder der Landrat automatisch dem Gemeinderat bzw. dem Kreistag
vorsitzen und deren Sitzungen leiten. Deshalb haben wir zum Ziel, dass es
zukünftig in der Hand der kommunalen Vertretungen liegt, ob eines ihrer
Mitglieder oder die/der Bürgermeister/in bzw. die/der Landrätin/Landrat den
Vorsitz übernimmt.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN treten für ein Akteneinsichtsrecht der einzelnen Rätinnen
und Räte und das Recht eines Viertels des Gemeinderats ein, einen Ausschuss zur
Untersuchung von Missständen einzusetzen. Diese Ausschüsse sollen ausreichende
Befugnisse erhalten, um Verwaltungsversagen auch tatsächlich aufklären zu
können.
Gesetzlich geregelt soll künftig auch werden, dass bereits 5 Prozent der
Ratsmitglieder das Recht haben, eine Fraktion zu bilden, sofern dies mindestens
zwei Personen sind. Die Gemeinden müssen den Fraktionen angemessene Mittel für
die sächlichen Aufwendungen gewähren. In Gemeinden mit einer/m hauptamtlichen
Bürgermeister/in sind auch Mittel für die personellen Aufwendungen für die
Geschäftsführung der Fraktionen bereitzustellen.
Wir wollen darüber hinaus das Höchstzahlverfahren nach d’Hondt, was im
Kommunalrecht häufig bei der Sitzzuteilung Anwendung findet und kleinere
Fraktionen erheblich benachteiligt, durch ein neutrales Sitzzuteilungsverfahren
ersetzen.
Ebenso wollen wir die Notwendigkeit des Einvernehmens der/des Landrätin/Landrats
bzw. des/der Bürgermeister/in für die Wahl der Beigeordneten durch die Stadträte
und Kreistage abschaffen, da dies eine unnötige Beschneidung ihrer Rechte
darstellt.
Ohne bessere Information keine gute Beteiligung
Eine bestmögliche Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern setzt Transparenz und
Informiertheit voraus. Nur wenn ich weiß, welche Entscheidungen in meiner
Kommune anstehen, kann ich mir dazu eine Meinung bilden und mich mit anderen
darüber austauschen. In Sachsen gibt es immer noch Gemeinden, in denen die
Beschlussvorlagen für die öffentlichen Sitzungen der Gemeindevertretung nicht
veröffentlicht werden. Bürgerinnen und Bürger können sich zwar über die
Tagesordnung informieren, nicht aber über die konkrete Entscheidungsgrundlage.
Das ist das Gegenteil von Transparenz. Das ist Geheimniskrämerei, die zu
Überdruss und Ablehnung von Politik führt, die wir derzeit vielerorts erleben.
Deshalb wollen wir verbindlich in der Gemeindeordnung regeln, dass die Kommunen
alle Vorlagen rechtzeitig im Internet zu veröffentlichen haben. Ebenso wollen
wir die grundsätzliche Öffentlichkeit der Ausschüsse durchsetzen, um eine
bessere Transparenz über politische Entscheidungen herzustellen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN treten darüber hinaus für ein Transparenzgesetz ein, dass
Kommunen verpflichtet, Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu allen Informationen
zu ermöglichen, die vorhanden sind. Die kommunalrechtlichen Regelungen sollten
diese Transparenz nachvollziehen und den Zugang zu Informationen über
Bürgerbeteiligungssatzungen unterstützen.
Starke Kommunen brauchen mehr Vertrauen
Wir wollen die kommunale Demokratie noch lebendiger machen und die Kommunen als
Keimzellen der Demokratie stärken. Dazu braucht es mehr Vertrauen in die
kommunale Selbstverwaltung statt des regelmäßigen Versuches der CDU-geführten
Staatsregierungen, die Kommunen an die Leine zu legen.
Ein Aufbruch in eine neue Bürgergesellschaft kann nur gelingen, wenn die
Bürgerinnen und Bürger sowie Gemeinderäte, Stadträte, Kreistage und
Ortschaftsräte endlich mehr Rechte erhalten. Am 26. Mai treten viele engagierte
Menschen dafür an, ihre Kommune lebenswert und demokratisch zu gestalten. Bei
der Landtagswahl am 1. September wird auch darüber entschieden, ob sie dafür
größtmögliche Rechte erhalten oder weiter Ignoranz erfahren.